Unser Weg zur Fairen Maus
Unsere Vision
Faire Arbeitsbedingungen für alle Beteiligten in der globalen IT Produktion, das ist unsere Vision. Unser Beitrag dazu ist eine Faire Compuermaus, die der Industrie einen Anreiz setzt, bei ihren Lieferanten (v.a. auch den asiatischen) und deren Lieferanten faire Arbeitsbedingungen zu ermöglichen.
Dem scheinbar unerreichbaren Ziel einer Computermaus, die im gesamten Produktionsprozess ohne jegliche Ausbeutung hergestellt wird, nähern wir uns Schritt für Schritt, nach dem Motto am Fairsten → Fairer → Fair
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Bleibt die Frage, was wir genau unter "fair" verstehen: Bei uns ist als "fair" definiert, was ohne Verletzung der Menschenrechte und ohne Ausbeutung (s. ILO Arbeitsnormen) auskommt. Ausgeschlossen sind also erzwungene Überstunden sowie ausbeuterische Kinderarbeit etc. Stattdessen streben wir z.B. an: "Guter Lohn für gute Arbeit", Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und ausreichendem Gesundheitsschutz, v.a. an Arbeitsplätzen mit potentiellen Gefahren für die Gesundheit. Details
Was haben wir bisher erreicht?
Generell achten wir bei der Beschaffung der Materialien darauf, dass wir, soweit möglich, Bauteile regional oder aus Ländern mit sehr guten Sozial- und Umweltstandards beziehen. (Wie hilft das asiatischen Arbeiterinnen? → hier.) Ist dies nicht möglich nehmen wir die umweltfreundlichste Variante und streben die Verwendung möglichst vieler recycleter Metalle an. Wieso die "fair" sind, zeigt das Beispiel unseres Recycling-Lötzinns). Um eine komplett faire Maus zu erreichen gehen wir auf unsere Lieferanten zu und suchen nach Lösungen in Bezug aus die Arbeitsbedingungen im Fertigungsprozess selbst als auch in Bezug auf die Bezugsquellen der verwendeten Rohstoffe. Für uns als kleinen Hersteller sind die Einflussmöglichkeiten derzeit noch beschränkt. Mit wachsender Marktpräsenz hoffen wir, immer mehr Verbesserungen bewirken zu können.
1. Phase: 2009 -2012
Projektstart und Konzeption der 1. Version → "am Fairsten":
Die Maus kam Ende 2012 als allerfairstes IT Produkt teil-fair auf den Markt: Für die eigentliche Produktion, also alle Lötarbeiten (Bestückung der Leiterplatte) und die Endmontage konnten wir eine Kooperation mit der Integrationswerkstatt Retex in Regensburg aufbauen. Durch die Wahl eines regionalen Partners konnten wir die großen Löt- und Montagefabriken wie z.B. Foxconn oder Yonghong umgehen, die im Ruf stehen, ihre Arbeiterinnen auszubeuten, indem sie sie unzählige Überstunden machen lassen, bei unzureichenden Löhnen und unter Bedingungen, die zu Vergiftungen und Verletzungen im Arbeitsalltag führen.
Bei Retex bestehen vielmehr besonders soziale Arbeitsbedingungen, da hier psychisch kranken Personen individuelle Arbeitsanforderungen geboten werden. Auch die Umweltstandards bei Retex sind den hiesigen Auflagen entsprechend sehr gut. Handlungsbedarf besteht hier noch bei der Energieversorgung. Mittelfristig möchten wir Retex überzeugen, Ökostrom bei der Produktion zu verwenden.
Eine Ebene tiefer in der Lieferkette, also bei den Lieferanten der Einzelbauteile konnten wir zum Projektstart weitere regional produzierende Betriebe mit sehr guten Arbeitsbedingungen und Umweltstandards für unsere Produktion gewinnen:
microtech teltow für Widerstände (Produktion in Teltow), WIMA für Kondensatoren (Produktion in Aurich), frolyt für Elkos (Produktion in Freiberg), Vishay für SMD Kondensatoren (Produktion in Migdal Ha'Emek/ Israel), Nichia für LEDs (Produktion in Tokuhama/ Japan), Greule für Leiterplatten (Produktion in Pforzheim), die Landshuter Behinderten Werkstätten für Gehäuse, den schwäbischen Kunststoffhersteller tecnaro für Gehäusematerial aus nachwachsenden Rohstoffen, sowie weitere regionale Betriebe für die Herstellung von Nebenprodukten wie Schrauben, Verpackung, Etiketten, Farbstoff und Lötmittel. Die Arbeitsbedingungen in den Produktionsstätten der übrigen Bauteile, sowie die Vorlieferanten vieler Bauteile waren uns zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt.
2. Phase 2012-2016
Weiterentwicklung unserer teilfairen Maus → "Fairer":
Mit einem fertigen Produkt in der Hand fiel es uns bei einigen Lieferanten leichter, unsere Idee zu vermitteln und weitere Einblicke in die Produktion sowie Informationen zu den Vorlieferanten zu bekommen. In dieser Zeit besuchten wir die Leiterplattenproduktion sowie die Fertigungsstätte unserer Widerstände und konnten noch mehr Transparenz in unsere Lieferkette bringen. Dabei stellten wir auch fest, dass unsere damaligen Schalter höchstwahrscheinlich nicht, wie bis dahin angenommen, von Cherry/ zf selbst produziert wurden, sondern aus unbekannten chinesischen Fabriken in China stammten. Fair produzierte Schalter scheint es derzeit noch nicht zu geben. Immerhin wechselten wir die Bezugsquelle dahingehend, dass wir nun direkt von einer chinesischen Fabrik beziehen, die wir 2013 auch besucht haben. Wir haben also nun direkten Kontakt zum Management und zudem einen Einblick, wo die arbeitsrechtlichen Probleme in dieser Fabrik liegen. Gleichzeitig haben wir einen potentiellen Lieferanten für fairere Kabel (ebenfalls in China) besucht und stehen in Verhandlungen, wie eine faire Produktion aussehen kann. Im ersten Schritt konnten wir hier die Transparenz erhöhen. In Kooperation mit der TU München haben wir weitere Überlegungen bzgl. einer besonders nachhaltigen Konstruktion des Kabels für unsere Maus angestellt, deren Ergebnisse in einer studentischen Forschungsarbeit zusammengestellt sind.
2015 konnten wir die konventionellen Plastik-Scrollräder aus China durch regionale Holz-Scrollräder ersetzen. Da die Plastikindustrie in China in der Regel noch schlechtere Arbeitsbedingungen bietet als die IT Industrie, hat sich damit die Fairness unserer Maus nochmal erhöht. 2014 haben wir die Initiative Fairlötet angestoßen, die 2015 mit dem ersten fairen Lötdraht aus Recycling-Zinn auf den Markt kam. Dieser Lötdraht wird seitdem auch bei der Bestückung unserer Leiterplatten verwendet. Der bisherige Lötdraht basierte auf Zinn aus Indonesien, das für starke Menschenrechtsverletzungen bekannt ist. Also auch hier eine positive Entwicklung. (Wieso bezeichnen wir Recycling-Zinn als "FAIR"?)
3. Phase: 2016-2020
Versuche: Faires aus China, fairere Vorbauteile und Rohstofftransparenz
In dieser Phase waren wir sehr aktiv mit energieaufwendigen Versuchen, auch tiefere Ebene unserer Lieferkette fairer zu gestalten, wenn möglich auch die Gewinnung und Herstellung der Rohstoffe und einen Weg für faire Produktion in China zu finden. Erfolgreich waren wir dabei z.B. bei den Mausfüßchen (Gleitpads). Diese stammen nun aus regionaler, fairer Produktion. Zwischenzeitlich bestanden sie sogar aus nachhaltigem Material, einem Biokunststoff einer Schweizer Firma. Dann kam Corona und hat unserem Lieferanten den Garaus gemacht, so dass wir wieder auf konventionellen Erdölbasierten Kunststoff zurückgreifen müssen. Das Material wird aber weiterhin regional produziert.
Desweiteren hatten wir verschiedene Ansätze und auch Verhandlungen bzgl. unseres Kabels. Unser Ziel ist es nach wie vor, dieses aus möglichst fairer, chinesischer Produktion mit transparenter Lieferkette zu beziehen. Ein echt harter Brocken. Wir haben nun einen Lieferanten, der zwar nicht wirklich "fair" produziert, aber die Arbeitsbedingungen sind besser als in der vorherigen Fabrik und die Lieferkette ist transparenter. Und als neuste Errungenschaft haben wir nun eine Fabrik in China gefunden, die zwar nicht die eigentlichen Kabel produziert, aber immerhin unter fairen Arbeitsbedingungen die Stecker an die Kabel montiert. Ein kleiner Arbeitsschritt und bisher haben wir es noch nicht geschafft, den Hersteller zu überzeugen, auch faireres Rohmaterial zu verwenden. Da wir momentan noch sehr viele Kabel vom vorherigen Lieferanten auf Lager liegen haben, ruht dieses Projekt auf unserer Seite.
In der Zwischenzeit treten wir mit unseren regionalen, bereits fair produzierenden Lieferanten in Kontakt, um sie zu überzeugen, ihre eigene Lieferkette transparenter und fairer zu gestalten (Vorbauteile und Rohstoffe). 2016 starteten wir mit unserem Lieferanten für Leiterplatten den Versuch, eine neue, nachhaltigere Leiterplatte zu produzieren, für die bereits in der Herstellung faires Lötzinn eingesetzt werden sollte. Leider sind die Projektpartner bald wieder abgesprungen.
Viel Energie haben wir auch in die Rohstoff-Lieferkette unserer Gehäuse gesteckt. Der PLA-Bio-Kunststoff, den wir in dieser Zeit verwendeten bestand aus Zuckerrohr und wir traten in Kontakt mit Zuckerrohr-Kooperativen in Südostasien, um fair angebautes Zuckermaterial in unsere Lieferkette zu bekommen. Mit dem IfBB der Hochschule Hannover hatten wir einen sehr hilfreichen Partner, die die Optimierung des Materials sicherstellte. Die Integration des Fairen Zuckers hat leider nicht geklappt und als dann auch noch der Hersteller des Grundmaterials seine Rezeptur änderte, so dass dieses PLA für uns nicht mehr verwendbar war (die Mausgehäuse platzen nach 10 Monaten auf...) suchten wir schließlich nach ganz neuen Wegen, die wir in der folgenden Phase dann fanden.
Gegen Ende dieser Phase gestanden wir uns ein, dass die Welt wohl noch nicht bereit sei für Faire IT und dass es wohl noch viel mehr Bildungsarbeit bedürfe. Deshalb begannen wir Mitte 2018 eine geförderte Bildungsoffensive. Zum Start tourten wir mit einem chinesischen Menschenrechtsaktivisten durch ganz Deutschland und gingen in den folgenden Monaten verstärkt an Schulen, erstellten Bildungsmaterial, hielten Vorträge und Workshops.
Zwischen-Phase 2020-2022
Diese Phase beginnen wir mit dem Vorsatz, mehr überzeugte und v.a. tatkräftige Mitkämpfende für die Faire IT Produktion zu gewinnen.
Und es fängt gut an, ein neuer Verein "Fair IT Yourself" gründet sich, der eine weitere große Bildungsoffensive startet in der er besonders ansprechende Bildungsformate anbietet mit Lötworkshops, Fabrikbesuchen, etc. und v.a. auch Multiplikator*innen ausbildet.
Auch die Produktion können wir nachhaltiger gestalten. Ab 2020 verwenden wir einen Recycling-Kunststoff (ABS) aus Post-Consumer-Recycling, also geschredderten Gehäusen von alten IT Geräten. Das neue Material ist nicht nur äußerst nachhaltig in der Produktion, es ist auch wesentlich stabiler als der vorherige Biokunststoff.
Doch, wen wundert es, unser Elan wurde zerstört. Wir alle wissen was kam, 2 Jahre kaum Bildungsveranstaltungen, geschlossene Werkstätten, gestörte Lieferketten. Diese Zeit hat uns stark belastet und zurück geworfen. Hinzukam, dass uns ein anfänglich euphorischer Kunde die Abnahme von 60.000 Mäusen ankündigte und dann nicht mal die Hälfte abnahm. Wir bezahlen bis heute die Folgekosten. Nachdem der erste Großauftrag dieser Art 2017 wunderbar verlaufen war, haben wir nun die Abgründe der Öffentlichen Beschaffung kennengelernt und halten uns von solchen Auftraggebern erstmal fern.
Nichtsdestotrotz blieben wir aktiv. So haben wir in dieser Zeit ein Erklärvideo produziert, dass unterhaltsam und in aller Kürze erklärt, was Fair IT ist und warum wir sie dringend brauchen und v.a. dass wir viel mehr Mitstreiter*innen brauchen.
2021 versuchten wir noch auf einem ganz anderen Weg, weitere Menschen zu motivieren, selbst aktiv zu werden. Wir stellten alle Daten und Maße zur Technik unserer Maus online, so dass nun jede*r mittels eines 3D-Druckers ein individuell angepasstes Gehäuse drucken kann, so dass nun eine große Vielfalt an Mäuse möglich ist. Als zusätzliche Motivation schrieben einen Gehäusedesign Wettbewerb aus. Die Teilnahme war erfreulich. Ein neues, serienfähiges Gehäuse konnten wir aber leider nicht darauf gewinnen. Immerhin ist konnten wir die individuelle Mitgestaltungsmöglichkeit an der IT Hard-Ware-Welt live erlebbar machen.
2022 konnten wir auch ein lang geplantes Ausgleichsprogramm starten, in dem wir nun pro verbrauchtem Gramm metallischen Rohstoff einen bestimmten Betrag an eine indonesische Umwelt- und Menschenrechtsorganisation spenden, die sich u.a. vor Gericht für die Rechte der von der Rohstoffgewinnung betroffenen Menschen (Minenarbeiter*innen, Anwohner*innen etc) einsetzt. Dies machen wir als Ausgleich dafür, dass wir gezwungen sind, indirekt (über unsere Bauteile) Rohstoffe aus extrem unfairer Produktion in unserer Maus zu verwenden.
4. Phase 2023-202x
Wir kämpfen noch mit den Widrigkeiten der letzten Jahre. Als weitere Strategie versuchen wir nun, über Netzwerke wie den BNW, Unverpackt-Verband und (wie bisher auch) Eine Welt Netzwerk Bayern und das Nordsüd-Forum München, noch mehr zur Verbesserung der menschenrechtlichen Lage in der globalen IT Produktion zu erreichen.
Auch produktionsseitig starten wir ein eigenes kleines Netzwerk. Vielleicht gelingt es uns auf diese Weise doch noch ein wirklich faires Kabel für unsere Maus in die Welt zu bringen.
Daneben nehmen wir zum Anlass unseres 11-jährigen Jubiläums eine Maus mit Karma-Gehäuse in unser Sortiment auf und erhöhen zum ersten mal seit 10 Jahren die Preise.
Wir sind uns bewusst, dass wir wahrscheinlich auch 2024 noch keine 100% faire Maus anbieten können. Weitere ToDos bis zur fairen Maus sind dann v.a. Rohstoffe und die Frage, wie wir unsere Lieferanten überzeugen, fair und nachhaltig gewonnene Rohstoffe, etwa recycelte Metalle in ihrer Produktion zu verwenden.
Das wichtigste aber ist, dass sich noch viel mehr Menschen aktiv am Projekt "Faire IT" beteiligen, andere Projekte gründen, die in diese Richtung arbeiten und mit denen wir Kooperationen aufbauen können und deren Erkenntnisse und Erfolge wir für unsere Maus übernehmen können. Denn: Wir können das nicht alleine machen! (Das ist übrigens keine selbstkritische Erkenntnis, sondern ein Aufruf...)
Wir bleiben dabei: Wir wollen wirklich faire IT Produktion ohne jegliche Ausbeutung!